Auf Herz und Nieren| 17.12.2018

Demenzdiagnostik

WARUM EINE KORREKTE ABKLÄRUNG SINNVOLL IST

In der Schweiz leben schätzungsweise 140 000 Menschen, die an einer Demenz leiden. Nur ein Bruchteil davon ist korrekt abgeklärt und diagnostiziert. Im folgenden Artikel wird aufgezeigt, warum es sinnvoll ist, eine Abklärung vorzunehmen. Dabei soll auch ein problematischer Aspekt zur Sprache kommen.

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von Dr. med. Georg Egli

Die Demenzdiagnostik, wie sie in der Memory-Sprechstunde im Spital Limmattal durchgeführt wird, besteht aus einem ausführlichen Gespräch mit Patient und Angehörigen, dem Ermitteln der medizinischen Vorgeschichte, einer Evaluation des aktuellen Funktionsniveaus inklusive neuropsychologischer Testung, Zusatzdiagnostik wie Gehirn-MRI, EEG und Blutanalyse sowie einem Diagnosegespräch. Hier werden neben der Therapie wichtige Aspekte wie Entlastungsmassnahmen und Zukunftsvorsorge besprochen. In unklaren Situationen führen wir spezialisierte Zusatzuntersuchungen des Hirnstoffwechsels oder des Liquors (Nervenwasser) durch. Unsere Möglichkeiten der Diagnosestellung sind heute viel weiter fortgeschritten als die Möglichkeiten, die Krankheit selber zu behandeln, wie zum Beispiel die Alzheimer-Krankheit (siehe Illustration auf Seite 18 und 19), die der häufigste Grund für eine Demenz in der Gruppe der über 60-Jährigen ist. Anhand von Beispielen zeigen wir, warum es dennoch Sinn macht, eine Abklärung durchzuführen.

Grössere Operation und Delir

Wer kennt sie nicht, die Situation seit der Operation und der Narkose. Probleme mit dem Gedächtnis oder der Wortfindung. Nach grösseren Operationen kommt es bei älteren Menschen immer wieder vor, dass sie verzögert wach werden und dann verwirrt sind. Oft ist ein Delir die Ursache. Die Frage der Angehörigen ist nicht selten, ob etwas bei der Operation passiert sei. Meist ist die Ursache eine Kombination aus körperlichem Stress durch Operation, Narkose, Medikamente und die neue, oft hektische Umgebung in einem Spital. Dies genügt normalerweise aber nicht, einen Patienten verwirrt zu machen. Vielmehr ist es oft so, dass der Patient bereits vor der Operation kognitive Einschränkungen gehabt hat und diese nicht bemerkt wurden oder die Gehirnreserven nicht genügten, um den Stress einer Operation auszuhalten. Dies muss nicht automatisch eine Krankheit darstellen. Ein Delir nach einer Operation tritt gelegentlich auch bei hochbetagten, geistig gesunden Menschen auf.

Wichtig ist es nun, vor einer Operation bei Risikopatienten zu wissen, ob eine Demenz vorliegt, da dies – neben dem Alter – der grösste Risikofaktor für die Entwicklung eines Delirs ist. Zudem können in diesem Wissen bei der Narkose und der Aufwachphase vorsorgliche Massnahmen getroffen werden. Ein Delir kann dennoch nicht immer verhindert werden. Zudem ist das Wissen um kognitive Einschränkungen wertvoll bei der Rehabilitation, wo es wichtig ist, dass der frisch Operierte Belastungslimiten einhalten kann und befähigt ist, an Standardtherapien teilzunehmen.

Eine psychiatrische Behandlung ohne Fortschritt

Eine Depression kann bei Demenzerkrankungen, wie zum Beispiel Parkinson oder Alzheimer, Jahre vor der Entwicklung von kognitiven Einschränkungen wie Gedächtnisproblemen und Wortfindungsstörungen auftreten. Der medizinische Fachmann spricht dann von einer sogenannten Vorläufererkrankung. Wird die Depression erkannt und mittels Medikamenten und Psychotherapie behandelt, ist es in diesen Fällen oft so, dass sich die Depression nicht wie üblich abschwächt oder ganz zurückbildet. Oftmals werden diese Patienten dennoch über Jahre ohne Erfolg psychotherapeutisch weiterbehandelt. Im Wissen um eine beginnende degenerative Hirnerkrankung (zum Beispiel Alzheimer) oder auch eine Hirngefässerkrankung ist das Vorgehen in einer Psychotherapie anders als bei den häufig heilbaren Depressionen aufgrund beispielsweise schwieriger Lebenssituationen.

Therapeutische Möglichkeiten

Es gibt mannigfaltige Ursachen für die Entwicklung einer Demenz. Leider sind gegenwärtig nur wenige Demenzursachen reversibel. Bei vielen Demenzen kann allerdings der Zustand durch das Weglassen schädlicher Medikamente, den Einsatz von unterstützenden Medikamenten oder durch das Behandeln eines medizinischen Problems deutlich verbessert werden. Häufige Mitursachen für eine Demenz sind zudem ungünstige Lebensgewohnheiten, die zu Arteriosklerose und Diabetes führen, und die Alkoholsucht. Hier kann mittels Prävention eine Verbesserung des Hirnfunktionszustandes oder zumindest ein Stopp des weiteren Abbaus erreicht werden.

Wissen um die Limitation des betroffenen Partners

Oft führt eine Demenzentwicklung zu Beziehungsproblemen. Die gewohnte Rollenaufteilung beginnt zu wanken, und charakterliche Eigenschaften können akzentuiert werden. Oft greifen die im gemeinsamen Leben gefundenen Problemlösungsmittel nicht mehr. Die häufigen Folgen sind Streitigkeiten, wiederholte fruchtlose Gespräche um immer gleiche Themen, Resignation und ein Sich-Auseinanderleben. Das Wissen um eine durch eine Demenz bedingte Limitation beim Partner ändert vieles und birgt die Chance, in einer veränderten Beziehungsgestaltung weiter gut zusammenzuleben. Es macht einen grossen Unterschied, ob der Partner nicht kann oder nicht will.

Ordnen der Verhältnisse vor dem Verlust der Urteilsfähigkeit

In unserer komplexen Welt gilt es vieles zu administrieren und zu regeln. Insbesondere im letzten Lebensabschnitt sollte man seine finanziellen Verhältnisse ordnen (Testament, Vorsorgeauftrag) und sich vielleicht auch Gedanken machen, ob man in medizinischen Notsituationen einen Vertreter bestimmt und seinen Willen bezüglich lebensverlängernder Massnahmen kundgetan hat. Damit diese Willensäusserungen valide sind, muss die Urteilsfähigkeit gegeben sein. Dies ist bei einer beginnenden Demenz meist der Fall und kann anhand einer Untersuchung auch attestiert werden. Damit werden Streitigkeiten, die nach dem Ableben auftreten können, oft vermieden.

Entlastung der Angehörigen

Angehörige von Demenzerkrankten übernehmen meist unwissentlich nach und nach Funktionen des erkrankten Partners und sind sich des Ausmasses der Einschränkungen beim Partner oft nicht bewusst. Die Folge sind Überforderungen und dann nicht selten Depressionen und Burnout. Das frühzeitige Ergreifen von Entlastungsmassnahmen und die Klärung zukünftiger Betreuungsformen sind in diesen Fällen oft sehr hilfreich und beugen einer Dekompensation vor.

Problematischer Aspekt

Immer wieder treten jüngere Menschen ohne kognitive Einschränkungen an den Arzt heran mit der Frage, ob man bei ihnen kontrollieren könne, ob sie Gefahr liefen, in den nächsten Jahren an einer Demenz zu erkranken. Oft ist der Anlass ein an einer Demenz erkranktes Familienmitglied. Heute ist es mittels – von den Krankenkassen allerdings nicht bezahlter – spezialisierter Untersuchungen möglich, die Gefahr der zukünftigen Entwicklung, zum Beispiel einer Alzheimer-Erkrankung, viele Jahre im Voraus näher einzugrenzen. Dabei ergeben sich für den Arzt ethische Probleme, wie es auch bei der Abklärung von genetischen Erkrankungen bei noch Gesunden der Fall ist, für die keine Therapien bestehen. Nach einer in diesen Fällen meist unauffälligen neuropsychologischen Testung ist es die Aufgabe des Arztes, in einem ausführlichen Gespräch diese Problematik gut verständlich darzustellen.

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